exhibition view // ausstellungsansicht nord art 05
apparategedächtnis (2005)
apparategedächtnis (apparatuses’ memory)is an installation dealing with snapshooting. It questions the photographic documenting resp. its consequences, being ever the same. The view of the photographic documents is refused by disposition, so that the beholder has to evoke his own images – the images of his memory.
The installation consists of 288 preserving jars forming eight square fields with ten flourescent tubes. The squares take up the shape of slide frames, representing at the same time self-reflection – the apparategedächtnis refers to itself. The number of fields takes up the self contained and endless form of the figure 8. The flourescent tubes complete the visible moment at the surface, thus the collective, so-called objective perception. At the same time it implies the technical side of photography, the exposure, and shows the paradigm of classical photography: its image character.
ca. 270x600x13cm | 10 flourescent tubes, each 1,20m long | 288 preserving jars filled with 88 miniature slides each.
The installation was presented for the first time in the framework of the international art exhibition nord art 05 in büdelsdorf/rendsburg, where 180 artists from 24 countries displayed their works. The exhibition was open from june 15 until september 18 2005.
apparatuses’ memory is part of the work segment >> body-core.
cutout // ausschnitt
apparategedächtnis (2005)
apparategedächtnis ist eine installation, die sich mit dem knipsen auseinandersetzt. sie stellt das fotografische dokumentieren bzw. dessen konsequenz, das immer wiederkehrende gleiche, in frage. der blick auf die fotografischen dokumente wird durch die disposition verweigert, so dass der betrachter selbst seine inneren bilder – die bilder seiner erinnerungen – heraufbeschwören muss.
die installation besteht aus 288 einweckgläsern, die mit zehn neonröhren acht quadratische felder bilden. die quadrate nehmen dabei die form der diarahmen auf, stehen gleichzeitig aber auch für die selbstreflektion – das apparategedächtnis verweist auf sich selbst. die anzahl der felder greift die geschlossene und endlose form der zahl 8 auf. die neonröhren ergänzen das sichtbare moment an der oberfläche, also die kollektive, sogenannte objektive wahrnehmung. gleichzeitig beinhaltet sie die technische seite der fotografie, die belichtung und zeigt das paradigma der klassischen fotografie auf: ihren abbildcharakter.
ca. 270 x 600 x 13 cm | 10 neonröhren, je 1,20 m länge | 288 einweckgläser gefüllt mit jeweils 88 kb-dias
gezeigt wurde die installation erstmals im rahmen der internationalen kunstaustellung nord art 05 in büdelsdorf/rendsburg, bei der 180 künstler aus 24 ländern ihre werke präsentierten. die ausstellung war vom 15. juni bis 18. september 2005 zu sehen.
apparategedächtnis ist teil des werksegment >> body.core.
detail
Assoziationen von Nicole Büsing und Heiko Klaas,
freie Kunstjournalisten, Hamburg im August 2005
Der Apparat, der Kontaktabzug, das Selbstporträt, das Polaroid, das perfekte Bild: Der 1991 gestorbene Schriftsteller und Fotograf Hervé Guibert, Jahrgang 1955, macht sich in dem Bändchen “Phantom-Bild” literarisch-analytische Gedanken über die Fotografie. So schreibt er im Kapitel “Dias”: “Wir besitzen, um Gesichter in Erinnerung zu rufen, verschiedene geistige, mehr oder weniger direkt abrufbare, mehr oder weniger unscharfe, mehr oder weniger der Vergangenheit angehörende Diapositive. Wir haben gleich hinter den Augen, dort, wo ein anderer Bildschirm zu sein scheint, Diamagazine im Kopf, Magazine für Bilder, die uns mehr oder minder vertraut und die mehr oder weniger funktionstüchtig sind, und dann weiter entferntere, weiter weg abgelegte Magazine, von wo aus wir ab und zu ein älteres und etwas vergessenes Dia hervorholen….”(1)
Vom Metaphorischen zum Realen. Auch der Hamburger Fotograf Falk von Traubenberg, Jahrgang 1971, besitzt ein über viele Jahre angewachsenes Archiv aus Diapositiven: Fotografien von Reisen, von Landschaften, von Architektur, von der Familie. Bildinformationen auf Diafilm, einem Speichermedium, das den nächsten Generationen, die mit der digitalen Fotografie aufwachsen, antiquiert und nostalgisch vorkommen wird. Ein abgeschlossenes Kapitel, ein Ballast von kleinen Abbildern in handlichen Plastikrahmen, die ihr Dasein in verstaubten Magazinen, alten Archivschränken und auf Flohmarktständen fristen müssen?
Falk von Traubenberg hat das “Apparategedächtnis” entwickelt. Schlichte, handelsübliche Einliter-Einmachgläser sind gefüllt mit jeweils 88 Diapositiven aus seinem eigenen durchnummerierten Archiv. Die Einmachgläser sind fein säuberlich neben- und übereinander platziert und von Neonröhren beleuchtet. Der Betrachter sieht die konservierten Bilder und filtert individuell seine Informationen heraus. Eine Art Erinnerungsarbeit beginnt: Es wird das kollektive Bildergedächtnis aktiviert, die Diaschau läuft im Kopf ab. Es ist eine Suche nach dem verlorenen Foto, ein Assoziationsangebot, das das Medium Fotografie an sich reflektiert. Gleichzeitig geht es um das Bewahren, das Archivieren, um das arbeitsintensive und zeitverschlingende Sortieren, Nummerieren und letztlich auch um die Beliebigkeit einer Ordnung und – wie im “Apparategedächtnis” demonstriert – einer gewollten Unordnung, Beliebigkeit und Zufälligkeit.
Die Philosophin, Essayistin und Fototheoretikerin Susan Sontag (1933 bis 2004) schreibt in ihrem Band “Über Fotografie”: “Indem etwas fotografiert wird, wird es Teil eines Systems von Informatonen, wird es eingefügt in Klassifikations- und Speicherungsschemata, die von der schlicht-chronologischen Ordnung von Schnappschussfolgen, die in Familienalben eingeklebt werden, bis zu der systematischen Sammlung und sorgfältigen Einordnung reichen, deren es bei Fotos bedarf, die für die Wettervorhersage, die Astronomie, die Mikrobiologie oder die Geologie, die Polizeiarbeit, die medizinische Ausbildung und Diagnose, die militärische Aufklärung und die Kunstgeschichte benötigt werden.” (2)
Mit der Herstellung eines Fotos stellt sich auch die Frage nach seiner Archivierung. Falk von Traubenberg hat sein fein säuberlich sortiertes Dia-Archiv kurzerhand zur Einmachware erklärt. Ein Kapitel ist abgeschlossen und vorerst versiegelt. Es kann jedoch jederzeit wieder reaktiviert werden. Die Substanz geht nicht verloren. Doch der Blick geht nach vorn.
Falk von Traubenberg bewegt sich im Grenzbereich der Fotografie. In seiner Rolle als Architekturfotograf geht er einer sehr langsamen Fotografie nach, die sich dem gewählten Motiv mit großem Aufwand und einer vom Auftraggeber verlangten Präzision nähert. Auf keinen Fall sieht er sich jedoch als Dokumentarfotograf: “Ich bin ganz klar kein Dokumentarist, denn das Dokumentieren bezweifle ich schon als solches”, sagt er. Die Fotografie, in der es um das Medium als solches geht, ist die Traditionslinie, auf der auch Traubenbergs Arbeiten anzusiedeln sind. Eine experimentelle Fotografie und das Entwickeln neuer Fototechniken wie die Solarisation, das Rayogramm oder die Mehrfachbelichtung kamen vor allem in den 1920er und 1930er Jahren auf. Vorreiter waren László Moholy-Nagy, für den die Kamera ein Instrument des erweiterten Sehvermögens war, oder Man Ray, der als der erste Künstler galt, dessen fotografisches Oeuvre höher eingeschätzt wurde als sein malerisches. Aber auch die russischen Avantgardisten wie El Lissitzky und seine Entwicklung der Fotomontage oder Alexander Rodtschenko als Wegbereiter des Neuen Sehens, der die altbewährte Bauchnabelperspektive bekämpfte und den fotografischen Blick aus schrägen Perspektiven und auf überraschende Details erfand, machten den Weg frei für eine neue fotografische Sicht auf die Dinge.
Was kann ein Fotograf heute noch neu erfinden? Die analoge Technik wird immer mehr durch die digitale Fotografie verdrängt. Die digitale Aufnahme und digitale Bildbearbeitung ermöglichen ein “Spiel ohne Grenzen” mit dem Medium Fotografie. Falk von Traubenberg lässt sich auf dieses Spiel, das Medium auszureizen, ein. Er reduziert Bildinformationen und schafft durch das Verfremden ursprünglichen Bildmaterials neue, abstrakte Bilder. Er löst Ursprungsbilder in Streifenbilder auf und gibt ihnen damit eine neue grafische Qualität. In seinen “fotomationen” – das sind 5 bis 10-minütige, aus Einzelbildern sehr langsam oder sehr schnell montierte Bild-Tonsequenzen – verlässt er das in sich ruhende Einzelbild und schlägt eine Brücke Richtung Video und Film. Bewegung, Animation, Schnelligkeit und Musik beginnen in seinen Arbeiten eine immer größere Rolle zu spielen. Für den Philosophen Vilém Flusser ist das Bild “eine Reduktion der >>konkreten<>zunächst<< analog zu den bildenden Künstlern ihre Bildwelt literarisiert… Erst die Fotografen, für die Technik selbstverständlich war – die das Verfahren verinnerlicht hatten -, setzten das subjektive Potential des fotografischen Verfahrens frei.”(4) Subjektivität spielt auch bei Falk von Traubenberg eine immer größere Rolle. Das 5371-fache Selbstporträt steht im Zentrum seiner fotomation “kopfkunst – mindstorm1″. Ein 7,5-minütiger Bildersturm von hart aneinandermontierten Fotografien des eigenen Kopfes, mal in Folie eingewickelt, mal digital verfremdet, mal blutverschmiert. Das mentale, das denkende, das hochsensibilisierte Ich als zentraler Motor und charakteristisches Abbild der Person des aktiven Bilderproduzenten. Das Selbstporträt des Kopfes taucht vielfach in der Fotografiegeschichte auf. Eine weibliche Vertreterin der wiederholten fotografischen Annäherung an das eigene Gesicht ist die Düsseldorferin Katharina Sieverding. Für die männliche, selbsterforschende Ich-Betrachtung in Verbindung mit Performance hingegen steht der Berliner Dieter Appelt.
Falk von Traubenberg ist in seiner fotografischen Arbeit auf der Suche nach dem Neuen innerhalb des Mediums Fotografie. Aufgrund einer technischen Weiterentwicklung, dem Erfinden neuer Fototechniken und der Verfügbarkeit von neuem, von der Fotoindustrie angebotenen Material bietet die Fotografie ständig neue Möglichkeiten und Anknüpfungspunkte. Dennoch bleiben über 150 Jahre Fotografiegeschichte und ein sich aus Fotografien und Filmen speisendes Bildergedächtnis in der kollektiven und individuellen Erinnerung haften. “Alles, was wir gesehen haben, bleibt auch bei uns abgespeichert”, sagt Falk von Traubenberg. Die Suche nach den Bildern geht weiter. Die Kamera steckt im Kopf.
© Nicole Büsing und Heiko Klaas
Anmerkungen:
- Hervé Guibert: “Phantombild”, Reclam Leipzig 1993, S. 137
- Susan Sontag: “Über Fotografie³, Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1997, S. 149
- Vilém Flusser: “Kommunikologie”, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1998, S. 111
- Ulf Erdmann Ziegler: “Magische Allianzen”, Fotografie und Kunst, Lindinger + Schmidt, Regensburg 1996, S. 263
exhibition view // ausstellungsansicht nord art 05
the 4X4 work segments structure: // die 4X4 werksegmente struktur: