Heinz Lohmann und falkbrvt im PHOTO.KUNST.RAUM. Hamburg – Foto: Carmen Oberst

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seed #15 – Individuum und Gesellschaft als Pole eines Kontinuums

Gedanken zur Ausstellung „wer bist du und wenn ja, wie viele?“
des Konzeptkünstlers falkbrvt – 08. bis 24. August 2020
verlängert bis zum 09/09/2020
PHOTO.KUNST.RAUM. Hamburg

von Heinz Lohmann, Gesundheitsunternehmer und Kunstsammler

Als Falk von Traubenberg vor vier Jahren das Ende seiner künstlerischen Aktivitäten be- kannt gab, war zunächst die Verwirrung groß. Ungläubige, ja ängstliche Nachfragen brachten dann doch Licht in das Dunkel der Ankündigung. Es ging um eine schöpferische Pause und, ja, auch um eine Zäsur. Mit dem „Ausverkauf“ der Arbeiten aus den alten Werkgruppen sollte ein gewisser Abschluss des bisherigen Schaffens erreicht werden. Klar wurde aber außerdem, dass es nach der Pause, der Künstler dachte dabei an ein Jahr, weitergehen sollte und zwar unter seinem vollen Geburtsnamen, Falk Baron Rausch von Traubenberg, kurz falkbrvt. Auch dieser Wechsel deutet auf eine grundlegende Neubestimmung auf der Basis einer umfassenden Infragestellung hin. Wie radikal der existentielle Schritt ausfallen würde, konnte der Künstler zum damaligen Zeitpunkt nicht ahnen. Unvorhergesehene persönliche und allgemeine Ereignisse, ja tiefe Einschnitte in das bisherige Leben, haben aus einem Jahr insgesamt vier Jahre werden lassen.

Während sich der Künstler in früheren Arbeiten, so auch in der langjährigen Serie „fops – falk ́s orange pants stories“, selbst in Relation zu seiner Umgebung setzt, stehen heute für falkbrvt Fotos seines eigenen Körpers, die er nach wie vor häufig verarbeitet, für menschliche Darstel- lungen allgemein. Weiter nutzt er digitale Überblendungen zweier Fotos und eine extrem starke Rasterung des Ausgangsmaterials. Beispiele für diese inhaltlichen und technischen Vorgehensweisen finden sich in der aktuellen Ausstellung.

deformation #2 – dreaming of francis bacon
2019-0044

Die Arbeit „deformation #2 dreaming of francis bacon“ zeigt ein bandagiertes menschliches Antlitz. Das Gesicht zeugt überdeutlich von einer dramatischen Verletzung. Im übertragenen Sinne sehen wir einen Eingriff in die Normalität, der eine grundlegende Neuorientierung unab- dingbar macht. Ein „weiter so“ kann es nicht geben. Im Gegenteil geht es darum, auf der Basis einer intensiven Analyse des Geschehenen, zu einer konkreten Handlungsan-weisung und damit zu einer realistischen Perspektive zu gelangen.

Grundlegende, ja existentielle Fragen, mit denen wir Menschen uns auseinandersetzen, haben ihre Ursachen sowohl in uns selbst, im Einzelnen, als auch in der Gesellschaft, in der Gemeinschaft aller. Die Antworten sind untrennbar mit der Person, so auch dem Körper und dem Umfeld, also den Lebensbedingungen verbunden. Diese Erkenntnis gilt für viele Facetten des menschlichen Lebens. Für den Einzelnen ergibt sich für jeden dieser Aspekte der Existenz ein spezifisches Mischungsverhältnis von aus uns selbst oder von außen kommenden Einflüssen. Individuum und Gesellschaft sind die Pole dieses Kontinuums. Je nach Antwort auf die gestellten Fragen, ergeben sich individuelle Gestaltungsoptionen und gesellschaftliche Erwartungen, die das Leben bestimmen. Menschen streben nach Eigenständigkeit, nach Autonomie und sind gleichzeitig auf die Einordnung in die Gemeinschaft angewiesen. Sie sind gesellschaftliche Wesen und individuelle Persönlichkeiten gleichermaßen.

Es gibt Situationen im Leben eines jeden Einzelnen von uns und in der Gesellschaft insgesamt, in denen diese aufgeworfenen Fragen besondere Relevanz erlangen. Menschen versuchen dabei, sich ein Bild von der Lage allgemein und zu ihrer eigenen Position zu machen, um auszuloten, welche konkrete Rolle sie bei der Gestaltung der Zukunft einnehmen können. Der Konzeptkünstler falkbrvt beschäftigt sich in seiner Ausstellung genau mit solchen Momenten. Nicht zufällig nimmt er mit dem Titel der Schau Bezug auf die Schrift „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ des Philosophen Richard David Precht. In dessen äußerst populärem Buch denkt der Autor über das „Warum?“ nach und versetzt die Leser damit in die Lage, eigene Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu finden. falkbrvt verfolgt mit künstlerischen Mitteln das gleiche Ziel. Er wendet sich mit den Arbeiten in dieser Ausstellung an jeden Einzelnen von uns, auch wenn er dazu ein Foto von sich selbst einsetzt. Um das klarzustellen, tauscht er das „ich“ gegen das „du“.

wer bist du und wenn ja, wie viele?
64 teilig, gesamtansicht
2019-0073 bis 2019-0136

Die titelgebende Arbeit „wer bist du und wenn ja, wie viele“ ist insgesamt 64-teilig. Sie präsentiert sich in der Ausstellung als 16-teiliger Ausschnitt. Basis ist ein Foto eines hockenden Menschen, für den stellvertretend der Körper von falkbrvt steht. Überblendet wird dieses Motiv von einer zweiten, in 64 Einzelteile „zerschnittenen“ Fotografie der Palette einer mit dem Künstler befreundeten Malerin. Das digitale Ausgangmaterial ist grob strukturiert. Pro Arbeit ergeben sich wiederum 64 Pixel, für die jeweils in einem spezifischen Verhältnis die beiden Aufnahmen abgemischt sind.

Im Ergebnis erscheint für jeden Rasterpunkt entweder das eine oder das andere Foto dominant bzw. reduziert. Die einzelnen Arbeiten spiegeln somit ein austariertes Verhältnis zwischen den Inhalten der Ausgangsbilder wider. Sie stehen für sich, genau wie jeder einzelne Mensch auch. Gleichzeitig bilden sie zusammen ein Ganzes, wie wir es bei Gruppen, ja bei Gesellschaften auch erleben.

Das Quadrat und die Zahl 8 sind für falkbrvt formgebende Größen. Sie tauchen in seinem Werk immer wieder strukturierend auf. Abgeleitet daraus, ist die Zahl 4 häufig anzutreffen. In der Ausstellung nutzt der Künstler sie für den Aufbruch. Nach der Verstörung und der Verortung, geht es bei der Arbeit „auf der suche“ um die Perspektive. falkbrvt verzichtet hier auf eine „Doppelbelichtung“, sondern verwendet den Ausschnitt eines Fotos. Die Gesamt-arbeit teilt er in vier Quadrate, die kompositorisch auch als Einzelarbeiten funktionieren.

ausstellungsansicht

Die Ausstellung „wer bist du und wenn ja, wie viele?“ schlägt einen konsequenten Bogen von der persönlichen und gesellschaftlichen Zäsur in diesen besonderen Zeiten über die vielschichtige Analyse und Neubestimmung des Fokus unseres Lebens, bis hin zum Startpunkt des künftigen Weges. Mutig und dynamisch geht es zu, wenn das neue Ziel ins Auge gefasst wird.

Dieser „Solotanz“, wie falkbrvt seine Präsentation im PHOTO.KUNST.RAUM. selber nennt, markiert den Beginn von etwas Neuem.